Baukultur und Kulinarik des Kanton Uri - Stiftung Ferien im Baudenkmal

Baukultur und Kulinarik des Kanton Uri

Text und Bild: Nicole Giger aka Magsfrisch

Ein wunderbarer Herbsttag: der Himmel stahlblau, die imposanten 3000er rund um Unterschächen ragen in die Lüfte, das Dorf wird noch grosszügig von der Sonne gewärmt. Die markante Bergkulisse lässt aber vermuten, dass der nahende Winter das bald ändern wird. Unterschächen ist das allerletzte Dorf im Urner Schächental, bevor dann der Klausenpass ins Glarnerland führt. Hier also, in diesem 700 Seelen-Dorf, liegt die Stüssihofstatt, ein ganz besonderes Baudenkmal.

Das Haus stammt aus dem Jahre 1450 und ist somit eines der ältesten Bauernhäuser im Kanton Uri. Dass eine Konstruktion aus dem Mittelalter derart unverändert und vollständig überdauert, ist aussergewöhnlich. Stolz thront das Haus vor den Felswänden, dunkles Holz, urchig, dann die frischen mintgrünen Fensterrahmen und die einladende Veranda. Beim Betreten des Hauses bin ich beeindruckt ob des grosszügigen Eingangsbereichs, kein beengtes Gefühl, kein Ducken, wie das von einem alten Bauernhaus erwartet würde, sondern ein grosser, hoher Raum mit einer verspielten Deckenleuchte, der einen freundlich in Empfang nimmt. Zwei Treppen führen zu den Schlafzimmern und dem Bad hinauf, im Parterre befindet sich eine kleine Küche und ein gemütlicher Wohn- und Essbereich. Die mintgrünen Holzwände setzen einen willkommenen Kontrast zum dunklen Holz und sorgen für Frische und Leichtigkeit. Es ist genau dieser Kontrast, das gekonnte Spiel zwischen Alt und Neu, das Verbinden von Geschichte und Modernem, der mich so überzeugt. Die Stiftung Ferien im Baudenkmal, welche sich zum Ziel gesetzt hat, alte Baudenkmäler vor dem Abriss zu bewahren, sanft zu renovieren, um diese dann einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, kann das ausgezeichnet. Ich staune immer wieder.

Eine ganze Woche durfte ich mit meiner Familie in der Stüssihofstatt verbringen. Wir sind gewandert, haben lokale Spezialitäten probiert, selber welche gekocht, haben ausgespannt und Kühe bestaunt, Hühner besucht und sind Seilbahn gefahren, wir haben Sonne getankt und Bergluft geschnuppert und eine gute Zeit gehabt. Ein paar Highlights hab ich hier für euch festgehalten.

Die stüssihofstatt

Alte, knarrende Holzböden, Designer-Möbel von Horgen Glarus, Feuer im Holzofen und wenn man aus dem Küchenfenster blickt, sorgen weidende Kühe für eine willkommene Entschleunigung. Das Baudenkmal hat auch nach der Restaurierung seinen alten Charakter beibehalten. So zeugen die ausgetretenen Fussböden oder der durch die Küche verrusste Korridor vom Leben und den Geschichten, die in diesen Räumen schon stattgefunden haben. Das Bauernhaus, welches zu den ältesten im Kanton gehört, bietet neben acht Schlafplätzen auch sonst viel Reizvolles. Vergangenheit und Gegenwart, ein einladender Kiesplatz oder eine Ofenbank, welche in der kälteren Jahreszeit wohl das kuschligste Plätzchen für lange Lesestunden bietet. Wer nicht lesen will, schaut vom Küchenfenster aus den Kühen zu oder besucht die Hühner im Nachbarsbauernhaus. Mit Kindern definitiv das bevorzugte Programm.

BIELER SÄGE

Die Bieler Säge ist nur unweit von der Stüssihofstatt entfernt, dorfauswärts am Eingang des Brunnitals, in nur etwa zwanzig Gehminuten zu erreichen. Das historische Sägewerk stammt aus der Zeit um 1850, als hier mit Hilfe vom Wildbach Hinterschächen und einem Holzwasserrad riesige Baumstämme zersägt wurden. Heute ist das Sägewerk offen für Besichtigungen und als wir auf unserer Wanderung daran vorbeispazierten, liess es sich der alte Herr und offensichtlich stolze Sägewerkwart nicht nehmen, uns zu zeigen wie die Säge auch heute noch stattliche Baumstämme in zwei teilen kann. Es ist eindrücklich, wie 2500 Liter Wasser die Minute den Holzwasserkanal runterfliessen und so die grosse Säge in Bewegung versetzen. Auch der alte Herr scheint nach all den Jahren sein Staunen nicht verloren zu haben.

AUSFLUG ZUM BRUNNIBEIZLI

Hier oben findet ein Stadtmensch das, was er sucht, wenn es ihn in die Berge zieht: Entschleunigung, Ruhe, Frieden und einen Kaffi Luz. Oder einen Brunni-Kaffee, wie er hier heisst: schwacher Filterkaffi mit starkem Pflaumenschnaps. Die Gastfreundschaft, das Bergpanorama und besagter Kaffee mit Schuss haben Vorzeigecharakter und man fühlt sich wohl hier oben. Für den Aufstieg ist keine Höchstleitung notwendig, eine gute Stunde bergauf und schon winken die Belohnungen: frischer Lebkuchen mit Rahm, Urner Pastete oder Schweinswürstli mit Brot. Die Urner Pastete ist, wie es der Name unschwer erkennen lässt, eine Spezialität der Region. Das mit Sultaninen gefüllte Gebäck ist süss und das, was wir brauchen, als wir ankommen. Auch Kinder können den Weg wandern und für Ausdauer sorgen die Tierrätsel, welche dem Weg entlang gekonnt für Unterhaltung sorgen.

Während wir in der prallen Bergsonne sitzen und die Wärme auf den nackten Armen geniessen, erzählt die Wirtin, dass bereits zum 11. Oktober die Sonne nur noch für eine Stunde durchdringt, ab dem 28. Oktober dann überhaupt nicht mehr. Daraus erklären sich auch die Öffnungszeiten: das Brunnialpbeizli ist den Sommer über für seine Gäste da und schliesst dann ab dem 1. Oktober seine Türen für die kalte Wintersaison.

URNER KÜCHE

Die Urner Küche lebt von währschaften und deftigen Speisen, wie das für den Alpenraum üblich ist. Dazu gehören selbstverständlich auch Produkte, die von hier kommen und hierher gehören: Milch, Käse, Rahm. Und da wären wir auch schon mittendrin. Ein echtes Urner Gericht – ja quasi der kulinarische Vorzeige-Urner – sind Älplermaggronen. Makkaroni mit Rahm, Käse und Kartoffeln, meist serviert mit Zwiebelschwitze und Apfelmus. Das Gericht ist ein typisches Sennengericht, Zutaten die auf der Alp verfüg- oder lange haltbar sind. Die Teigwaren gelangen mit dem Bau des Gotthardtunnels in die Schweizer Alpen. Italienische Arbeiter haben diese mitgebracht und gerade in der Alpenregion waren sie aufgrund ihres hohen Nährwerts und des geringen Gewichts schnell sehr beliebt.

Ein anderes Produkt, das von Italien her kam und schnell in die eigene Küche integriert wurde, ist der Risottoreis. So besteht ein zweiter Urner Klassiker aus Reis, Rahm, Käse und Lauch. Rys u Pohr, wie sie hier zu sagen pflegen, ist eine Art Lauchrisotto und auch hier wird klar: es soll sättigen, wärmen und glücklich machen.

Rys u Pohr

ZUTATEN

• 2 EL Butter
• 1 Zwiebel
• 3 Knoblauchzehen
• 400 g Risottoreis (Carnaroli)
• 2 Stangen Lauch
• 1,5 l kräftige Bouillon
• Bier (idealerweise Urner Bier, wie das Stiärbier)
• 1 Bund frischer Thymian
• 170 ml Rahm
• 100 g Urner Bergkäse

ANLEITUNG

1 Fein gehackte Zwiebel und gepresste Knoblauchzehen in Butter anschwitzen, Reis zufügen und mitbraten. Lauch in Ringe geschnitten beigeben und ebenfalls mitbraten. Dann mit Bier ablöschen. Einige Thymianzweige beigeben.

2 Nun nach und nach die heisse Bouillon zugiessen und immer wieder einköcheln lassen. Immer wieder umrühren. Mit der Bouillon so verfahren bis die ganz Bouillon aufgebraucht und der Reis gar ist.

3 Zum Schluss geraffelten Käse und Rahm zufügen und ebenfalls nochmals köcheln lassen. Jedoch nicht ganz, denn der Reis sollte noch eine leicht flüssige Konsistenz haben und ’Wellen schlagen’, wie es so schön heisst. Also kurz davor vom Herd nehmen.

4 Mit geraffeltem Käse und Thymian garnieren. Heiss servieren. Bei Bedarf mit Salz und Pfefferwürzen.

Der Reis wird in der Urner Küche auch in der süssen Variante geschätzt. Während wir hier mutlos vom Milchreis reden, bezeichnen die Urner*innen ihre süsse Reisspezialität als Nytlerys und machen klar, auf was es ankommt. Statt nur auf Milch wird hier auf Rahm gesetzt, was für ein ausgesprochen sämiges Ergebnis sorgt.

Nytlärys mit karamellisierten Äpfeln

ZUTATEN

• 200 g Milchreis oder Risottoreis
• 1 L Vollmilch
• 150 Rahm, geschlagen
• 4 EL Rohrzucker
• 1 Vanillestange
• 2 Prisen Salz
• 4 Äpfel
• 2 EL Butter
• 3 EL Rohrzucker
• 1/2 TL Zimt
• 4 EL dunkle Schokolade, geraffelt oder gehobelt zum Garnieren

ANLEITUNG

1 Milch, Zucker, Salz und ausgekratzte Vanillestange aufkochen, Reis zufügen und ca. 40 Minuten garen. Ab und zu umrühren, der Reis sollte eine sämige Konsistenz erhalten.

2 Äpfel waschen, Kerngehause entfernen und Schnitze schneiden. Butter in einer Pfanne schmelzen, Zucker zufügen und die Äpfel darin für einige Minuten karamellisieren. Mit Zimt würzen.

3 Rahm schlagen und unter den Milchreis ziehen, Milchreis auf Schüsselchen verteilen und mit Äpfeln toppen. Wer mag, reicht noch etwas Zimt-Zucker dazu. Warm oder kalt geniessen, je nach Lust und Vorliebe.

Die süsse Urner Küche hat’s mir so oder so etwas angetan. Nicht zuletzt der Lebkuchen wegen. In der Stüssihofstatt habe ich ein Kochbuch der Urner Bäuerinnen vorgefunden und beim Durchblättern sind mir die vielen Lebkuchen Rezepte ins Auge gestochen. Mal mit Birnel, mal mit Melasse, dann mit Honig und durchgehend serviert mit Schlagrahm. Es zieht sich also durch hier im Urnerland: fürs Sättigungsgefühl, fürs Glücksgefühl, etwas weniger für die Figur. Aber das stört keinen – mich eingeschlossen – und mit grosser Freude und noch mehr Appetit kaufe ich mir beim Bäcker einen Lebkuchen aus Altdorf.

Eine andere süsse Spezialität, die hier überall angeboten und gegessen wird, ist die Urner Pastete. Bevor ich selber eine gebacken habe, wollte ich eine probieren, die von sich behaupten kann, einheimisch zu sein und so bestellte ich auf der Brunnialp ein solches Gebäck. Serviert wurde sie mit Rahm und einer feissen Schicht Füllung bestehend aus süssesten Sultaninen. Ich weiss nicht, wieviel die Sicht und die Höhenluft hier noch leisteten, aber ich war hin und weg.

Urner Pastete

ZUTATEN

• 350 g Sultaninen
• 1 dl Apfelmost
• 2 EL Zucker
• 1 TL Zimt
• 500 g Mehl
• 250 g Butter
• 125 g Zucker
• 10 g Salz
• 1 Ei
• 0.5 dl Apfelmost
• 1 Eigelb zum Bestreichen

ANLEITUNG

1 Die Sultaninen am Vorabend im Apfelmost einweichen.

2 Salz und Zucker zum Mehl geben und mischen. Die kalte Butter in Würfelchen schneiden und unter die Mehl-Mischung heben, zwischen den Fingern verreiben bis eine Parmesanähnliche Konsistenz erreicht ist. Das Ei verquirlen und zusammen mit dem Most zur Mehl-Butter-Mischung geben, alles zu einem Teig zusammenfügen, nicht allzu stark kneten. Den Mürbeteig in zwei teilen und je in einem Zellofanpapier verpackt für ca. 20 bis 30 kühlstellen.

3 Die Sultaninen abtropfen lassen und mit Zimt und Zucker mischen. Arbeitsfläche bemehlen und die beiden Teige ca. 1 cm dick auswallen. Den Pastetenboden mit Eigelb bestreichen, dann mit der Füllung belegen und den Teigdeckel darauf geben, ebenfalls mit Eigelb bestreichen. Die Pastete mit der Gabel an verschiedenen Stellen einstechen und zeichnen. Von Hand schliesslich den Rand rundherum festdrücken. In der Mitte des Ofens bei 180 bis 200 Grad für ca. 35 Minuten backen.

Tipp: Mehr Halt bekommt die Pastete, wenn sie in einer Kuchenform gebacken wird.

Nicole Giger hat Germanistik studiert, arbeitet heute als Texterin, Bloggerin und Gastronomin. Ihre grossen Leidenschaften sind das Kochen und das Reisen. Es ist die authentische Küche mit einfachen und guten Zutaten, die sie berührt und es sind die Menschen, welche diese prägen, kochen und essen, die sie interessieren. Mit ihrer Familie lebt und geniesst sie in Zürich. Auf magsfrisch.com und Instagram gibt’s regelmässig Feines für Gaumen und Geist.

In einer Serie kocht sich Nicole durch die vier Landesteile der Schweiz, inspiriert von heimischen Produkten und Rezepten, ausgehend und angeregt von Baudenkmälern der Stiftung Ferien im Baudenkmal. Ihre Reisen lassen uns Baukultur durch ihre Kochtöpfe erleben und heimische Küche und Schweizer Gerichte entdecken.

Ihre ersten Ferien im Baudenkmal verbrachte Nicole in der Maison Heidi wo sie sich mit der Baukultur und Küche des Berner Jura bekannt machte. Die zweite Reise unternahm sie in die mittelalterliche Stüssihofstatt im Unterschächental, wo sie Urner Spezialitäten kochte.