Archaische Kühlkammern im Muggiotal oder spektakulär verlegte Wasserleitungen im Wallis sind faszinierende Zeugnisse des Erfindergeists und der Arbeit, mit denen Generationen vor uns die lokalen Ressourcen nutzten, um ihre Existenz zu sichern. Was aber bedeuten die traditionellen Agrarlandschaften heute für uns? Was sind sie uns wert, und wie können wir sie erhalten, pflegen und weiterentwickeln?
Françoise Krattinger, Schweizer Heimatschutz
Seit der Sesshaftwerdung der Menschen sind Siedlungs- und Kulturlandschaft untrennbar miteinander verbunden. Der Umgang mit der Landschaft sagt viel über eine Gesellschaft aus. Nicht nur die menschliche Nutzung, sondern auch die Wahrnehmung der Umwelt prägen die Landschaft und verändern sich ständig: Vom Menschen bearbeitete Landschaften und die dazugehörigen Bauten widerspiegeln immer die Möglichkeiten und Bedürfnisse ihrer Zeit. In der Schweiz hat das Zusammenspiel von naturgegebenen und kulturellen Eigenheiten eine grosse Vielfalt hervorgebracht, die über Jahrhunderte entstand und zum Kulturerbe gehört. So sind viele der landschaftsprägenden Tätigkeiten wie das Bauen von Trockenmauern, der Kirschenanbau im Kanton Zug oder die Pflege und der Betrieb von Wässermatten in der Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz aufgeführt, die das Bundesamt für Kultur und die kantonalen Kulturstellen seit 2012 veröffentlichen. Auch das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) dokumentiert und illustriert die grosse, räumlich sichtbare Vielfalt der natürlichen und kulturellen Landschaftswerte der Schweiz. Es dient als Grundlage zur Interessensabwägung und definiert Schutzziele, um die wertvollsten Landschaften der Schweiz zu erhalten.
Veränderungen verstehen und mitgestalten
Mit dem voranschreitenden Strukturwandel in der Landwirtschaft stellt sich die Frage nach dem Erhalt, der Pflege und der sinnvollen Weiterentwicklung dieses fragilen Erbes mit grosser Dringlichkeit. Wie können wir diese traditionellen, unter anderen Bedingungen entstandenen Kulturlandschaften weiterentwickeln, ohne dass sie zu sinnentleerten Kulissen verkommen oder ganz verschwinden? Während der Gebäudebestand im Siedlungsgebiet weiterhin stark wächst, lösen veränderte Anforderungen und Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft neue Ansprüche an das Kulturland und Bauten ausserhalb der Bauzone aus. Die Politik ist gefragt, diese Veränderungsprozesse lenkend und koordinierend zu begleiten. Aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten haben es in der Hand, die Entwicklungen durch ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Mit unserem Handeln, unseren Konsumgewohnheiten und unserem Freizeitverhalten bestimmen wir mit, wie die Landschaften der Schweiz in Zukunft beschaffen sein werden.
«In der Umwelt eine Landschaft zu erblicken, ist eine schöpferische Tat unseres Gehirns», hielt Lucius Burckhardt 1979 fest. So beginnen die Wahrnehmung und mit ihr die menschliche Beeinflussung der Landschaft in unseren Köpfen. Kann man wertschätzen, was man nicht kennt? Um den Reichtum, die Schönheit, die Vielfalt und die charakteristischen Merkmale verschiedener bäuerlicher Landschaftstypen kennenzulernen, laden Sie die 23 Routenvorschläge in unserer Publikation Heimatschutz unterwegs 2 – Süsse Früchte, goldenes Korn dazu ein, sich Ihr eigenes Bild zu machen. Wir wünschen Ihnen erhellende Wandererlebnisse.
Einblicke in einige wanderrouten
Zwischen Etzel und Einsiedeln SZ
Ein grosses Waldgebiet mit Seen- und Auenlandschaften, dazwischen wenige Siedlungsinseln mit römischer Vergangenheit: So zeigte sich das Schweizer Mittelland, als pionierhafte Bauern ab dem 7. Jahrhundert begannen, neue Höfe und Dörfer zu bauen und dem Wald Kulturland abzutrotzen. Mit der wachsenden Bevölkerung, ,der Gründung von Städten und Klöstern bildeten sich die Grundzüge einer Siedlungslandschaft aus, die die Schweiz bis heute prägt.
Jurassische Wytweiden JU
Die charakteristischen Weiden mit hochragenden Fichten sind Symbollandschaften des Jurabogens. Durch eine jahrhundertealte Kombination von Forst- und Viehwirtschaft entstanden, stellen sie einen einzigartigen Lebensraum für Pflanzen, Tier und Mensch dar. Das fragile Gleichgewicht zwischen Wald und Weide bedarf sorgfältiger Pflege.
Walliser Suonen und Rebterrassen VS
Die von Trockenmauern gefassten Rebterrassen an den Südhängen des Rhonetals zwischen Leuk und Martigny verleihen der Gegend ein unverkennbares Gesicht. Sie entstanden ab ca. 1880 im Zuge der Mechanisierung des Weinbaus. Künstler und Dichter wie Charles Ferdinand Ramuz rückten den ästhetischen Wert der Terrassenlandschaften ins öffentliche Bewusstsein.
Alpwirtschaft beim Brienzer Rothorn OW-LU
Immer seltener anzutreffen sind Tristen, wie hier am Rand des BLNGebietes Flyschlandschaft Haglere-Glaubenberg-Schlieren. Stehen keine Scheunen zur Verfügung, schichten die Bauern das Heu für die Lagerung kreisförmig auf ein Bett aus Tannenreisig um einen vertikalen Stock. Die Form der Tristen und die Ausrichtung der Halme der äusseren Schicht sorgen dafür, dass Regenwasser abläuft und Schnee abrutscht; das Heu bleibt trocken. Ein Rasenziegel dichtet die Spitze der Triste ab.
Valle di Muggio TI
Im Muggiotal stösst man auf archaische Bauten, die vom menschlichen Einfallsreichtum zur Nutzung der karstigen Voralpenzone zeugen. Die vertikal ins Erdreich eingelassenen Kalksteinplatten säumen den Weg zum Weiler Nadigh. Sie markieren die Grenze zwischen den bergseitigen gemeinschaftlich genutzten Weiden und den talseitigen privaten Wiesen.
Val Bregaglia GR
Kastanienbäume lieferten über Jahrhunderte ein wichtiges Grundnahrungsmittel im Tessin und in den Graubündner Südtälern. Um den Ertrag zu steigern, wurden die Wälder ausgelichtet. Zwischen den Bäumen weidete das Vieh. Seit 1979 werden im Bergell die Kastanienselven wieder vermehrt gepflegt. Bei Brentan befindet sich einer der schönsten Haine Europas.
Baselbieter Feldscheunen BL
Im Mittelalter etablierte sich die Dreifelderwirtschaft und mit ihr das Haufendorf mit seiner Unterteilung in Haus, Flur, Allmend und Wald. Es war verboten, ausserhalb des «Etters», der Dorfzone, Höfe zu errichten. Der Bedarf an Weide- und Wiesland wuchs, immer abgelegenere Waldflächen wurden gerodet. Um die neu gewonnenen Flächen trotz längeren Arbeitswegen bewirtschaften zu können, errichteten die Landwirte wie hier im Baselbiet vor Ort Heuschober und Stallscheunen. Mit der Mechanisierung der Landwirtschaft haben viele dieser Bauten ihre Funktion verloren und laufen Gefahr zu verfallen.
HEIMATSCHUTZ UNTERWEGS
– SÜSSE FRÜCHTE, GOLDENES KORN. BAND 2
Wandern durch bäuerliche Kulturlandschaften: Der Schweizer Heimatschutz lädt mit 23 Routenvorschlägen dazu ein, die Schönheit und Vielfalt traditioneller Agrarlandschaften zu entdecken. Viele von ihnen entstanden über Jahrhunderte und sind ein Kulturerbe in starkem Wandel.
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