Unterwegs mit Betina - Stiftung Ferien im Baudenkmal

Unterwegs mit Betina

Als Betina vor bald 25 Jahren ins Tessin kam, hatte sie nicht die Absicht, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen. Doch sie ist heimisch geworden, auch dank der Offenheit, die bereits seit den 1940er Jahren Partisanen und später Kunstschaffende und Menschen, die bürgerlichen Normen und traditionellen Lebenskonzepten entfliehen wollten, ins Onsernonetal zog.

Rebekka Ray, Baukulturelle Bildung, Schweizer Heimatschutz

Betina Hermes ist im Jahr 2000 im Onsernonetal angekommen und geblieben. Sie war während 18 Jahren Postbotin im Tal und ist heute pensioniert. Als Hausbetreuerin kümmert sie sich um die Casa Döbeli und das Wohl der Gäste.

Wie Perlen an einer Schnur reihen sich die Dörfer im Onsernonetal aneinander, verbunden durch eine einzige Strasse, die sich durch die wilde Landschaft schlängelt. An dieser Strasse liegt auch der Dorfplatz von Russo, wo mich Betina zu einem Rundgang mitnimmt. Als pensionierte Postbotin und Hausbetreuerin der Casa Döbeli, die heute im Besitz der Stiftung Ferien im Baudenkmal ist, kennt sie den Alltag der Einheimischen genauso wie die Bedürfnisse «ihrer» Feriengäste. Diese empfängt sie jeweils auf dem Dorfplatz, und während sie zum Ferienhaus begleitet werden, werden sie auch gleich mit nützlichen Hinweisen und interessanten Geschichten versorgt.

Die Häuser von Russo sind in einen nach Süden gerichteten Hang gebaut und durch steile Gässchen und zahlreiche Treppen erschlossen. Wir machen uns auf den Weg zur Casa Döbeli, vorbei an der Kirche Santa Maria Assunta, und nach einem kurzen Aufstieg deutet Betina auf die «schlafende Göttin» (tatsächlich hat der Hügelzug um den Monte Calascio die Form einer liegenden Figur) und auf den Kirchturm, der vor einigen Jahren nach einem heftigen Gewitter und einem Blitzeinschlag wiederhergestellt wurde.

Angekommen bei der Casa Döbeli zeigt mir Betina den Garten, führt mich zum Sitzplatz und an Ruinenmauern und Durchgängen vorbei zum Eingang des Bürgerhauses aus dem 17./18. Jahrhundert. Die Gastgeberin kennt jede Ecke und jede Eigenheit der Casa und schildert, wie heikel etwa das Putzen der dünnen Fensterscheiben sei. Mit einem Gespür für die historische Bausubstanz sorgt sie für den Unterhalt des Gebäudes, das 2010 restauriert wurde. Wir steigen über eine steile Treppe zum Dachstuhl, wo die für die Region typische Dachkonstruktion erkennbar ist. Auf den Querbalken aus Holz liegen schwere Steinplatten, die das Innere vor der Witterung schützen. Betina ist fasziniert vom alten Handwerk und der Arbeit des Dachdeckers, der lecke Stellen ausbessert, ohne neue Platten hinzuzufügen.

Auf unserem weiteren Rundgang durch das Dorf, über steile Treppen und Wege hinauf und hinab, erzählt mir Betina von ihren Postbotengängen, die sie bei Wind und Wetter, mit Paketen und Briefen, absolviert hat. Hunderte von Treppenstufen ist sie auf- und abgestiegen in Russo und den Nachbardörfern. Zurück auf der Hauptstrasse kommen wir am Dorfladen und am ehemaligen Schulhaus vorbei, das heute eine Art Gemeindezentrum mit Ausstellungsräumen beherbergt.

Unterhalb der Strasse liegt das Centro Sociale Onsernone mit einer grosszügigen öffentlichen Terrasse. Das Altersheim nach Plänen von MORO&MORO architetti aus Locarno ist durch einen Lift mit dem Dorfzentrum verbunden. Auf der Rückseite bieten die nach Süden gerichteten Loggien den Bewohnern und Bewohnerinnen einen unverstellten Blick ins Tal.

Bei einem Kaffee im Ristorante, das bei Einheimischen und Feriengästen gleichermassen beliebt ist und mit guter lokaler Küche und den Tischen unter den Lauben zum Verweilen einlädt, kommen wir auf die Offenheit der Einheimischen gegenüber dem Fremden zu sprechen. Ist sie Ursache oder eher Folge der Anziehungskraft, die das Tal im 20. Jahrhundert auf Freigeister ausübte? Hier eine Weile bleiben, kann auch ich mir gut vorstellen.